Kaum ein Weihnachtsmarkt hat eine so lange Tradition wie der Nürnberger Christkindlesmarkt: Die ersten Aufzeichnungen über ihn stammen aus dem Jahr 1628. Das letzte Mal fiel er wegen des zweiten Weltkriegs aus – und jetzt, 2020, erneut. Doch diesmal wird Nürnberg nicht von Soldaten und Fliegerbomben heimgesucht, sondern von einer unsichtbaren Bedrohung: der Corona-Pandemie, die unseren Alltag nun schon seit mehr als einem halben Jahr auf den Kopf stellt.
Vergangenen Montag verkündete Oberbürgermeister Markus König seine Hiobsbotschaft: Obwohl der Nürnberger Christkindlesmarkt dieses Jahr dezentral und mit strengem Hygienekonzept stattfinden sollte, wurde er nun doch abgesagt. Auslöser sind die seit Kurzem erneut explodierenden Zahlen der Corona-Neuinfizierten. Inzwischen ist die Rede vom „Lockdown Light“. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, solch ein großes Event wie den Christkindlesmarkt abzusagen – denn die Touristenattraktion Nürnbergs zog 2019 mehr als zwei Millionen Besucher in die Kaiserstadt. Ein Risiko, das König dieses Jahr absolut nicht eingehen möchte – womit er nicht nur auf Zuspruch stößt. In diesem Beitrag beleuchten wir die möglichen Konsequenzen der Christkindlesmarkt-Absage etwas genauer.
Was bedeutet die Entscheidung für die Wirtschaft?
Die Einnahmen, die der Christkindlesmarkt den Branchen Handel, Gastronomie, Hotellerie und dem Dienstleistungsgewerbe einspielt, werden auf 130 Millionen Euro geschätzt. Ein unheimlich hoher Betrag, auf den die Wirtschaft unserer Region im Jahr 2020 verzichten muss. Und das ist nur der aktuellste vieler finanzieller Einschnitte, die durch die Coronakrise ausgelöst wurden. Bereits der Lockdown im Frühjahr sorgte bei vielen Gastronomen und Hotelbetreibern für rote Zahlen. Ob sie das Ausbleiben unseres beliebten Weihnachtsmarktes finanziell verkraften, wird sich zeigen – im schlimmsten Fall müssen viele von ihnen ihre Betriebe schließen. Und es geht noch weiter: Schausteller und Standbetreiber leben von Großevents wie Volksfesten oder Weihnachtsmärkten. Für sie bricht nun ein weiterer, enorm großer Teil des Jahresumsatzes weg.
Für den Oberbürgermeister war die Entscheidung sicher nicht leicht: entweder die Wirtschaftseinnahmen des Christkindlesmarktes auf Spiel setzen oder einen zweiten Lockdown riskieren. Im Hinblick auf die Wirtschaft war Königs Wahl sicherlich die bessere Option, denn wer weiß, welche Folgen das enge Weihnachtstreiben nach sich ziehen würde. Sicher ist: Ein zweiter Lockdown könnte der Wirtschaft noch mehr schaden als die Absage des Christkindlesmarktes. Denn so hält König es sich offen, bei stabilen oder zurückgehenden Zahlen ein alternatives Konzept zu entwerfen. Damit ist dann zumindest den Standbesitzern und der Gastro geholfen. „Wirtschaftsreferent Michael Fraas und ich haben ihnen angeboten, ähnlich wie schon in den Monaten über den Sommer in der Adventszeit mit einzelnen Buden in den Stadtteilen vertreten zu sein.“, schreibt OB König am Montag in seinem Instagram-Post, in dem er die Christkindlesmarkt-Absage verkündete.
Traditionen soll man pflegen, oder?
Eingangs hatten wir bereits erwähnt, dass es den Nürnberger Christkindlesmarkt seit fast 400 Jahren gibt. Deshalb ist er nicht nur wirtschaftlich von großer Bedeutung, sondern könnte sogar als Wahrzeichen unserer Stadt angesehen werden. Ein Wahrzeichen mit langer Tradition und immenser kultureller Bedeutung für die Region. Viele von uns sind mit dem Christkindlesmarkt aufgewachsen, so wie auch unsere Eltern und vielleicht sogar Großeltern. Dementsprechend freut sich meist die ganze Familie auf das Event im Dezember und beobachtet voller Euphorie die Vorbereitungen vor der Eröffnung. Als Nürnberger kann man die Weihnachtszeit kaum einläuten, ohne über den Christkindlesmarkt zu schlendern, „Drei im Weggla“ zu essen und einen dampfenden Glühwein zu genießen, nachdem das Christkind den Prolog vorgetragen hat. Auch für Kinder gehören die gebrannten Mandeln und Karussellfahrten einfach zur Vorfreude auf Weihnachten dazu. Auf all diese Emotionen und Erlebnisse müssen wir dieses Jahr leider verzichten.
Es gibt allerdings auch genügend Anwohner, die sogar ein wenig erleichtert über die Absage sind. Denn der Christkindlesmarkt bedeutet oft auch volle öffentliche Verkehrsmittel, Menschenmassen in der Stadt und Stau. Wir werden im Advent nun also zur Entschleunigung gezwungen. Vielleicht ist 2020 deshalb genau der richtige Zeitpunkt, eigene Traditionen zu erschaffen: die Adventszeit mit der Familie genießen, ganz in Ruhe schon vor dem 23. Dezember die Weihnachtsgeschenke kaufen oder den Glühwein mit der Clique via Zoom-Konferenz trinken.
Wenn die Gesundheit zur Priorität wird
Kennst du das Gefühl, wenn du erkältet bist und deine Nase verstopft ist – und du dich darüber ärgerst, dass du vorher nie wertgeschätzt hast, dass du frei atmen kannst? Das trifft auf alle Gesundheitsbereiche zu. Solange wir selbst nicht betroffen sind, haben wir leicht reden. Doch auch wenn ihr in eurem Bekanntenkreis noch niemanden habt, der an Corona erkrankt ist oder nur Personen, die einen milden Krankheitsverlauf hatten: Setzt die Gesundheit eurer Mitmenschen nicht leichtfertig aufs Spiel. Und genau das wäre der Christkindlesmarkt 2020 gewesen: ein Risiko, das die Gesundheit tausender Menschen aufs Spiel setzt.
Denn selbst das strengste Hygienekonzept mit Sperrstunden und ohne Alkohol to go würde nichts daran ändern, dass Menschen zusammenkommen und dabei leichtsinnig sind.
Die Regelungen hindern nicht am Alkoholkonsum, dann wird eben Zuhause oder schon nachmittags getrunken – was vorm Clubbesuch als Vorglühen funktioniert, klappt auch vor dem Weihnachtsmarkt. Das Hygienekonzept, das von der Stadt Nürnberg vor der Absage umgesetzt wurde, beinhaltete zudem breitere Gassen zwischen den Standreihen und eine Vielzahl an Desinfektionsständern. Auch das sind sehr gute Ansätze, die aber nur funktionieren, wenn die Besucher sie auch nutzen. Weihnachten ist immer noch das Fest der Liebe, an dem wir mit Familie und Freunden zusammenkommen. Wir bekommen vielleicht Besuch von Personen, die wir nicht so oft sehen – da fällt es schwer, Abstand zu halten, es wird geherzt, gedrückt und geküsst. Wir sehen ja bereits an der Maskenpflicht, die seit anderthalb Wochen in der Nürnberger Innenstadt gilt, wie wenige Menschen sich tatsächlich an solche Regelungen halten und die Hygienekonzepte so berücksichtigen, dass sie auch wirklich für mehr Sicherheit sorgen. Wann immer man in den Fußgängerzonen unterwegs ist, trägt vielleicht die Hälfte der Passanten ihre Maske korrekt.
Also: Fehlentscheidung oder nicht?
Wir finden: Die Absage des Christkindlesmarktes zum Wohle aller Nürnberger und auch aller Touristen war genau das richtige Signal. Zudem haben alle Beteiligten nun noch einige Wochen Zeit, sich einen Plan B zu überlegen, der sich immer wieder an die aktuellen Regelungen und Möglichkeiten anpasst. Denn nachdem Nürnberg am Mittwoch, den 28. Oktober, den dunkelroten Schwellenwert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in 7 Tagen überschritten hat, drohen neue Restriktionen in Form von verschärften Ausgangssperren und erneuten Gastronomie-Schließungen. Regelungen, die im absoluten Gegenteil von allem stehen, das den Christkindlesmarkt nun mal ausmacht. Sind wir mal ehrlich: Ein Christkindlesmarkt unter diesen Umständen ist kein richtiger Christkindlesmarkt.