Nach der Veröffentlichung des ersten Kindle E-Readers im Jahr 2007 (in Deutschland verfügbar seit 2011) etablierte sich das digitale Lesen schnell auf dem Büchermarkt. Aktuell liest ein Viertel der Deutschen lieber digital als analog. Stellt die zunehmende Digitalisierung also eine Gefahr für den analogen Büchermarkt dar?
Wird es auch in Zukunft gedruckte Bücher geben?
Kurz gesagt: Ja, definitiv. Denn die Anzahl der E-Book-Fans liegt bereits seit 2014 bei einem Wert rund um die 25 %, wächst jedoch nicht mehr weiter. E-Books sind zwar etabliert auf dem Markt, aber sie beherrschen ihn nicht. Und werden nach fünf Jahren Stagnation wohl auch keinen plötzlichen Aufwind mehr bekommen.
Woran das liegen könnte? Schon 2017 legte eine Studie nahe, dass wir reale Produkte den digitalen bevorzugen, weil wir nur mit einem „echten“ Buch in der Hand auch wirklich das Gefühl haben, es zu besitzen. Dieses traditionelle Denkmuster zeigt sich beispielsweise auch beim Geldausgeben: Mit digitalen Bezahlmethoden gehen wir viel leichtfertiger um als mit realen Geldscheinen. Weil wir diese tatsächlich hergeben müssen und sich der „Verlust“ so echter anfühlt. Außerdem legen viele Leser Wert auf die Haptik eines richtigen Buches – und das fehlende Rascheln beim Umblättern kann auch der schlankste E-Reader mit seiner Platzersparnis nicht wettmachen.
Doch auch wenn die digitalen Bücher unser Kaufverhalten nicht radikal ändern, so haben sie doch unser Nutzerverhalten stark beeinflusst. Früher war Lesen eine klassische Aktivität für zuhause auf dem Sofa – für die man sich extra Zeit nimmt, die man fast ein wenig zelebriert. Heutzutage sind viele Menschen Hybridnutzer, die mal digital und mal analog lesen. Oder mal selbst lesen, mal zwischendurch das Hörbuch anschalten, um unterwegs mühelos dem Spannungsbogen folgen zu können, ohne selbst lesen zu müssen. Wir sind heute flexibler, mehr unterwegs und haben unsere Bücher in ihrer digitalen Form immer dabei – im Bus, im Urlaub, im Wartezimmer.
Hat das Folgen für den deutschen Buchhandel?
Keine Sorge: Dem geht es weiterhin gut. Laut einer aktuellen Statistik stieg der Umsatz der deutschen buchhändlerischen Betriebe im Jahr 2019 sogar um 1,7 %. Das mag auch daran liegen, dass auch die deutschen Buchhändler schnell das Potenzial des digitalen Lesens erkannten – und den Markt nicht komplett Amazon mit dessen E-Reader Kindle überlassen wollten. Denn der Kindle unterstützt ausschließlich Bücher aus dem Amazon Online-Shop – dementsprechend konnten andere Buchhändler nicht einmal mit Umsatz aus dem Verkauf von E-Books rechnen. Also gründeten Club Bertelsmann, Hugendubel, Thalia und Weltbild im Sommer 2012 die Tolino-Allianz – und vermarkteten ab 2013 ihren eigenen E-Reader, den Tolino. Das trug sicherlich einen Teil dazu bei, die rückläufigen Absatzzahlen aus dem stationären Verkauf über ihre Onlineshops und den dortigen Verkauf von E-Readern und E-Books wieder reinzuholen.
Ganz unabhängig vom digitalen Lesen gehen wir Deutschen laut der o. g. Studie trotz E-Commerce lieber in den stationären Buchhandel, um uns das nächste Hardcover oder Taschenbuch auszusuchen. Denn online ein reales Buch bestellen ist einfach nicht dasselbe Feeling, wie direkt im Laden darin zu blättern und kurz hineinzulesen. Wir würden euch trotzdem nicht empfehlen, ein Studium oder eine Ausbildung mit reinem Fokus auf gedruckte Bücher anzutreten. Denn die stetig fallenden Zahlen der Ausbildungsverträge für Buchhändler können ein erstes Anzeichen dafür sein, dass dieser Berufszweig sich nicht mehr allzu lange halten wird. Schon seit geraumer Zeit bieten große Buchhändler stattdessen (oder zumindest zusätzlich) lieber Ausbildungsstellen als Kaufmann/-frau im Einzelhandel an. Aber keine Panik: Mit einer Spezialisierung aufs Verlagswesen oder Onlinemedien könnt ihr auch nach dem Bachelor in Buchwissenschaft noch einen zukunftsfähigen Job finden.
Und wie steht es um Büchereien?
Mal ehrlich: Wann warst du zum letzten Mal in einer Bibliothek, um dir ein ganz normales Buch auszuleihen, das du nicht fürs Studium benötigt hast? Bei mir ist das über zehn Jahre her. Schade eigentlich, denn Büchereien haben inzwischen viel mehr zu bieten als abgegriffene Bücher. Das digitale Angebot ist beeindruckend: Im Onlinekatalog der Nürnberger Stadtbibliothek habt ihr beispielsweise die Wahl zwischen mehr als 16.000 E-Books und mehr als 3.000 digitalen Hörbüchern. Und das alles für eine Jahresgebühr von 15 € – deutlich günstiger als Audible, Amazon Books und ähnliche Anbieter.
Im Vorwort zum Jahresbericht des Deutschen Bibliotheksverbands schreibt dessen Bundesvorsitzender Prof. Dr. Andreas Degkwitz: „In Zeiten von Falschinformationen und Populismus sind Bibliotheken wichtiger denn je. (…) Open Access als offener Zugang zu digitalen Informationen verbessert die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse.“
Er hat Recht: Wenn alle Verschwörungstheoretiker auf wissenschaftliche Ergebnisse hören würden, müssten wir nicht immer noch darüber diskutieren, ob die Erde flach ist oder ob 5G Corona auslöst. Damit würde ich in den kommenden Jahren allerdings erstmal nicht rechnen. Vielleicht nehmt ihr euch das 650-jähriges Jubiläum der Nürnberger Stadtbibliothek am 30. Dezember 2020 trotzdem zum Anlass, der Bücherei eures Vertrauens mal wieder einen Besuch abzustatten. Denn besonders in Zeiten wie diesen, in denen die öffentliche Meinung immer mehr von Fake News beeinflusst wird, würde uns allen eine kurze Social Media Pause mit einem richtig guten Buch helfen.
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